Dual 721, "Problemchen" beim Anlauf

  • Hallo,


    ich bin neu in diesem Forum und habe gerade einen 721er auf dem OP-Tisch. Das Gerät funktioniert prinzipiell auch schön geschmeidig, musste nur die Strobo-Kontakte blank kriegen und den Pitch-Regler reinigen. Allerdings benötigt das Gerät beim manuellen Anlauf ca. 8 Sekunden, bis sich die Drehzahl stabilisiert hat, sprich es läuft los, beschleunigt dann aber deutlich höher als nötig und regelt dann wieder runter auf die eingestellte Drehzahl. Sobald diese erreicht ist, wird sie auch konstant und dauerhaft gehalten.


    Ich weiß, das sind Klagen auf recht hohem Niveau, 8 Sekunden sind ja nicht die Welt, trotzdem die Frage: Liegt das noch im Toleranzbereich oder deutet sich da ein größerer Defekt an und wenn ja, wo wäre dieser zu lokalisieren?


    Würde mich sehr über Feedback freuen :) .


    Schöne Grüße,
    Uwe.

  • Hi Uwe !


    Willkommen im kunterbunten Wunderland der Dualisten & Glückwunsch zur ersten Wortmeldung.

    Allerdings benötigt das Gerät beim manuellen Anlauf ca. 8 Sekunden, bis sich die Drehzahl stabilisiert hat, sprich es läuft los, beschleunigt dann aber deutlich höher als nötig und regelt dann wieder runter auf die eingestellte Drehzahl. Sobald diese erreicht ist, wird sie auch konstant und dauerhaft gehalten.

    Der 721 hat noch den generatorlosen EDS1000-2 als Antrieb.


    Das ist ein Direktantrieb 1. Generation, dem ein Tachogenerator zur Ermittlung der Ist-Drehzahl fehlt. Sie machen das ganz clever über das Induktionssignal der gerade nicht angetriebenen Motorspulen und gewinnen daraus über vier Germanium-Dioden eine Art Drehzahl-proportionale Gleichspannung, die in einer Regelstufe ausgewertet wird und den Grad der Öffnung des Haupt-Stromregeltransistors für den Motor beeinflußt.


    Nachteilig daran ist, daß die Regelzeit etwas höher, die Regelfrequenz etwas niedriger ist und daß das Signal auf dem Weg vom Motor zum Operationsverstärker über ein paar Kontakte, die Pitchpotis und ein paar notorisch gealterte Kondensatoren läuft.


    Ich würde im Vorfeld mal folgendes überprüfen:
    1. über dem 50µF-Kondensator C4 müssen stabilisierte -14V anliegen, während der Motor läuft. Das ist etwas schwierig zu messen, da die Elektronik etwas verbaut ist.
    2. Die Platinenkontakte 13 und 14 sind durch eine Kabelbrücke verbunden. Wenn man diese Brücke löst und dort ein Amperemeter dazwischenschaltet, darf der Anlaufstrom 250mA nicht wesentlich überschreiten. Man kann dazu den Teller mit dem Finger blockieren und ganz langsam durchrutschen lassen, um das zu prüfen. Dabei auch drauf achten, ob es innerhalb einer Viertelumdrehung jeweils zu Einbrüchen oder starkem Ansteigen des Anlaufstroms kommt. Der Motor führt für jeweils eine komplette Tellerumdrehung vier Aktivierungszyklen der Motorspulen durch. Ein Fehler in der Ansteuerung einer Spule muß also vier Mal pro Umdrehung auftreten. Der Anlaufstrom generell ist über das Trimmpoti R10 (100 Ohm) justierbar.


    Die Grundjustage einer komplett verstellten Motorelektronik erfordert ein Oszilloskop, auf dem man sich die Kurvenformen angucken kann, mit denen die Motorspulen betrieben werden. In der Regel wird ein Anlaufproblem dadurch verursacht, daß das Signal von der Istwert-Ermittlung zu langsam oder verzerrt in die Regelung gelangt.


    Da gibt es drei "heiße Kandidaten", die ich meistens auch schon ohne langes Messen ersetze:
    Kondensator C5, 1.5µF / 16V Tantal. Der bedämpft den Haupt-Stromregeltransistor ein wenig. Kann durch 1µF / 16V Elko ersetzt werden.
    Kondensator C8, 47µF / 16V Elko. Der koppelt das Signal von den Ge-Dioden gegen Masse.
    Kondensator C9, 10µF / 16V Elko. Der koppelt das Regelsignal gegen Masse.


    Wenn man einmal dabei ist, sollte man auch die beiden Haupt-Kondensatoren der Spannungsregelung ersetzen.
    Oft werden die Probleme auch nur durch ein Zusammenbrechen der geregelten -14V verursacht.
    Da sind das:
    Kondensator C3, 470µF / 35V axial Elko. Die "dicke Rolle" oben. Kann durch einen 1000µF / 40V axial ersetzt werden. Wurde häufig auch schon ab Werk in 721ern gesichtet.
    Kondensator C4, 50µF / 16V Elko. Wird durch einen 47µF mit mindestens 35V Spannungsfestigkeit ersetzt.


    *Und* natürlich sollten auch die "Knallfrösche" geprüft werden.
    Das sind die Entstörkondensatoren, die direkt an der Netzspannung hängen und die es gerne mal niederstreckt. Das ist ein 10nF / 250V~ im Motorschaltkasten (da wo das Stromkabel draufgeht) und das ist ein 47nF / 250V~ im eigentlichen Trafokasten - die Blechkiste an der Seite von der die dünnen grauen Drähte zur Motorelektronik rauskommen.
    Verwendet werden müssen hier Kondensatoren nach der "X2" Spezifikation "für dauernden Anschluß an Netzspannung geeignet" und mit einer Festigkeit von 275V~. Bei Bedarf kann ich passende Links geben.


    (Zuviel Infos ? :D )

    Peter aus dem Lipperland


    Solo mio, vendro unscrupuloso, custombres sansaclu.

  • Hallo Peter,


    Von zu viel Infos kann hier gar keine Rede sein - genau so eine differenzierte, umfassende und fachkundige Antwort habe ich mir gewünscht und prompt von Dir bekommen, ganz, ganz herzlichen Dank dafür :D ! Ich habe schon befürchtet, dass ich der ESD 1000-2 Platine und den Fröschen an den Kragen gehen muss, wenn ich mich ernsthaft an die Problembehebung machen möchte. Naja, ich überlege mir jetzt mal, ob ich die Teile bestelle und den Lötkolben anwerfe (komme dann gerne auf Deine Links zurück), oder das Ding einfach so und mit Fehlerbeschreibung verscherble... (ich weiß, das ist ganz schön faul :P ).


    Schöne Grüße vom Bodensee,
    Uwe.

  • Hi Uwe !

    oder das Ding einfach so und mit Fehlerbeschreibung verscherble... (ich weiß, das ist ganz schön faul ).

    Nö.


    Das kommt ja auch immer drauf an, wieviel Zeit man in sowas investieren will, ob man meint, daß es sich für einen selber lohnt (da bastelt man schon mal etwas) oder ob der Dreher nur "einer von vielen" ist, der auch wieder weg kann. Und - naja - es ist auch eine Frage, was man sich selber zutraut und ob man da wirklich Bock hat, sich in die Materie einzugraben. Das sind alles Fragen, die man sich stellen sollte. Von daher wäre es nachvollziehbar, es eben zu lassen. Läuft ja erstmal das Ding und wenn man knapp an Zeit ist oder berechtigte Zweifel an den eigenen Fertigkeiten hat, dann ist es besser, das Ding zu verscheppern, als es durch "Rummurksen" noch schlimmer zu machen. Bei einigen Geräten, die ich schon unter den Fingern hatte, haben die Vorbesitzer eigene Versuche angestellt und und ich habe geflucht, sie verwünscht und mir gewünscht, sie hätten die Flossen davongelassen.


    Von zu viel Infos kann hier gar keine Rede sein - genau so eine differenzierte, umfassende und fachkundige Antwort habe ich mir gewünscht und prompt von Dir bekommen, ganz, ganz herzlichen Dank dafür !

    Bitte sehr.


    Ich habe schon einige von den Dingern wiederbelebt. Die meisten Dual Direkttriebler haben ein paar klassische, sehr individuelle Schwächen, die immer wieder auftauchen. Der 721 ist an der Stelle noch vergleichsweise übersichtlich und einfach zu handhaben. Die "mit mehr Technik" drin, sind an der Stelle schon schwieriger zu entwanzen. 731 und 741 zum Beispiel. Die alten 701 und 721 sowie der halbautomatische 704 sind dagegen einfach zu durchschauen und wieder hinzukriegen. Der 701 nur deshalb schwierig, weil die Spulentreiber AC188K Germanium-Transistoren sind, wo es ein Problem mit der Beschaffung geben könnte.


    Laß' uns wissen, wie Du Dich entschieden hast. Der 721 ist eine sehr schöne Kiste, mit der man viel Spaß haben kann.


    ^^

    Peter aus dem Lipperland


    Solo mio, vendro unscrupuloso, custombres sansaclu.

  • Moin,


    ich würde mir den 721 fertig machen. Ich habe auch einen hier, den ich noch überholen muss.
    Im Moment läuft er gut, bis auf die Tatsache, dass die Drehzahl geringfügig mehr abdriftet als bei meinem zweiten, ebenfalls nicht überholtem 621 :)


    Beim anderen 621 habe ich die Kondensatoren getauscht. Das stimmt die Drehzahl.


    VG Andreas

    Ich biete:
    Im Moment nichts.

  • Morgen,



    Das kommt ja auch immer drauf an, wieviel Zeit man in sowas investieren will, ob man meint, daß es sich für einen selber lohnt (da bastelt man schon mal etwas) oder ob der Dreher nur "einer von vielen" ist, der auch wieder weg kann. Und - naja - es ist auch eine Frage, was man sich selber zutraut und ob man da wirklich Bock hat, sich in die Materie einzugraben.

    Genau so ist es. Meine Leidenschaft für den 721 hält sich leider in Grenzen, er ist halt auch nur einer von vielen. Ich hatte auch schon einige Dual-Plattenspieler in meinem Besitz, 1019, 1219, 1229, 701, 721, 728 Q, 626, 650, 630 Q, 2235 Q, einen 5000er und auch einige "kleinere" aus den entsprechenden Serien. Dazu kommt, dass ich beruflich aus dem Kaufmännischen komme und nicht von der Technik her, was die Sache noch erschwert. Einfach formuliert, ich bin sehr gut im "Beschaffen und Verscherbeln", aber eher mäßig bis bemüht im Reparieren :D .


    Was mich persönlich am 721 trotz der tollen Optik, ausgeklügelten Elektronik und Feinmechanik im übrigen massiv stört ist diese grauenhafte Haubenbefestigung. Die Haube steht ständig unter Spannung (egal wie fest man die zieht), es sei denn, man nimmt sie aus den Aufnahmen heraus und legt sie einfach nur drauf :rolleyes: .


    Es läuft also eher auf "verscherbeln" hinaus, aber wer weiß, vielleicht packt mich ja noch der Ehrgeiz und ich mach mich an die Arbeit ;) .

  • Hi Uwe !

    Dazu kommt, dass ich beruflich aus dem Kaufmännischen komme und nicht von der Technik her, was die Sache noch erschwert. Einfach formuliert, ich bin sehr gut im "Beschaffen und Verscherbeln", aber eher mäßig bis bemüht im Reparieren .

    Das ist eine realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten ... :D


    Ich bin eher der Schrauber und bei mir stapeln sich auf 60qm Lagerfläche ein paar hundert Geräte, von denen ich selten mal wieder was loswerde. Gut: ein paar Geräte sind eine Sammlung, so viele Geräte sind ein Chaos und ich bin ein Messie auf eine Art.


    So hat jeder seine Probleme.



    Was mich persönlich am 721 trotz der tollen Optik, ausgeklügelten Elektronik und Feinmechanik im übrigen massiv stört ist diese grauenhafte Haubenbefestigung. Die Haube steht ständig unter Spannung (egal wie fest man die zieht), es sei denn, man nimmt sie aus den Aufnahmen heraus und legt sie einfach nur drauf

    Das stimmt nur bedingt.


    Also zu fest darf man sie nicht ziehen und die Haubenscharniere bedürfen einer kleinen Nachbearbeitung. Die Formstücke jedes Scharniers haben "Spitzen" - je vier an jeder Scharnierseite, acht Stück insgesamt bei jedem Scharnieren. Wenn man diese Spitzen auf der Kuppe gleichmäßig abflacht, schließt die Haube auf dem letzten Zentimeter praktisch widerstandslos und der Druck aus der Rückwand ist raus. Die Haube "steht" dann auch nicht mehr in den Scharnieren und liegt komplett auf. Das ist ein Quickfix für die Hauben, die vorne nie richtig schließen und immer ein paar Millimeter offenstehen.


    Gewußt wie.


    :D

    Peter aus dem Lipperland


    Solo mio, vendro unscrupuloso, custombres sansaclu.

  • Hallo Peter,


    Wenn man diese Spitzen auf der Kuppe gleichmäßig abflacht, schließt die Haube auf dem letzten Zentimeter praktisch widerstandslos und der Druck aus der Rückwand ist raus.

    Auf diese Idee wäre ich nie gekommen, toll, dass es noch Leute gibt, die sich mit so viel Liebe und Sachverstand an die guten alten Dreher machen :thumbup: . In der Zwischenzeit habe ich den 721er zu einem für beide Seiten anständigen Preis verkauft - mit der eingerissenen Haube und ehrlicher Zustands- und Fehlerbeschreibung natürlich, so wie es sein soll.


    Ich bin eher der Schrauber und bei mir stapeln sich auf 60qm Lagerfläche ein paar hundert Geräte, von denen ich selten mal wieder was loswerde. Gut: ein paar Geräte sind eine Sammlung, so viele Geräte sind ein Chaos und ich bin ein Messie auf eine Art.


    So hat jeder seine Probleme.


    So macht halt jeder das, was er am besten kann. Und wenn ich es mir recht überlege, würden wir uns da gar nicht übel ergänzen :D .

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